Die Bön-Religion und ihre Geschichte

Die tibetische Bön-Religion wurde von Tonpa Shenrab Miwo begründet. Sie hatte ihr ursprüngliches Zentrum im heutigen Westtibet und bestand in ihrer frühen Phase vor allem aus rituellen Praktiken. Die spezialisierten Priester (Shen und Bön) waren insbesondere für die Totenrituale der Könige zuständig. Nachdem der Buddhismus von den tibetischen Königen (Dharmarajas) nach Tibet geholt wurde entstanden einige Konflikte. Gleichzeitig entwickelte sich die Bön Religion und der Buddhismus parallel zueinander weiter und es ist nicht eindeutig belegt, wer sich beim Gedankengut mehr bei der anderen Tradition bediente.

Die Bön-Religion entwickelte sich Seite an Seite mit dem sich im 7. Jahrhundert etablierenden Buddhismus. Heute bildet die Bön-Religion eine strukturierte Doktrin. Die Beziehungen zum Buddhismus waren in einigen Phasen der Geschichte eher unfreundlich. Die Anhänger des Bön wurden während mehrerer Perioden verfolgt und oftmals gezwungen, sich zum Buddhismus zu bekehren. Daher migrierten viele von ihnen ins Hinterland von Tibet in die Provinzen Amdo und Kham sowie in die Grenzgebiete im Norden Nepals, wo sie in relativer Ruhe ihre Religion ausüben konnten. Buddhisten und Bönpo leben in diesen Gebieten friedlich nebeneinander. In Zentraltibet existieren bis heute zwei Bön-Klöster (sMen-ri und gYung-drung-ling), aber diese waren und sind nicht von einer grossen Laiengemeinschaft umgeben, die sie im grösseren Stil unterstützen könnte.

Seit der Annexion von Tibet durch die Chinesen 1950 ist die religiöse Freiheit sehr limitiert. Viele Tibeter flohen in die angrenzenden Länder, wo sie neue Zentren bauten, besonders in Indien und Nepal. In dieser veränderten Situation entwickelte sich eine neue tibetische Identität, die sich ausschliesslich auf den Buddhismus abstützte und die Bön-Religion völlig ausschloss. Nur mit viel Mühe gelang es den Bönpo ein eigenes religiöses Zentrum in Dolanji, im Nordwesten Indiens, aufzubauen (genannt "New Menri"). Viele alte Originaltexte aus Dolpo wurden exportiert und in Indien neu gedruckt, da viele der Texte in Tibet zerstört, verloren oder unerreichbar waren. Nach einem langen Ringen mit der tibetischen Exilregierung in Dharamsala gelang es den Bönpo schliesslich, den Dalai Lama persönlich zu sprechen. 1978, nach einem Besuch des neu gebauten Bön-Klosters in Dolanji, anerkannte der Dalai Lama die Bon-Religion als eine Schule mit eigenen Praktiken und erteilte Sangye Tenzing (Lungtok Tempa Nyima) in Dolanji den bedeutenden "Thron"-Titel. Dieser Titel, der normalerweise den höchsten Führern von buddhistischen Sekten vorbehalten ist, bedeutete einen wichtigen Schritt in Richtung Integration der Bön Gemeinschaft in die tibetische Exilgemeinschaft. Im tibetischen Exilparlament haben heute zwei Vertreter der Bön-Religion gemeinsam mit je zwei Vertretern der buddhistischen Hauptschulen (Nyingma, Kagyü, Sakya und Gelug) Einsitz.
            
Inzwischen gibt es auch ein grosses Kloster in Kathmandu mit dem Namen Triten Norbutse, das von Lopön Tenzin Namdak begründet und geführt wurde. Zur Zeit steht der Abt Khenpo Tenpa Yungdrung, der im Dhorpatan in einem Flüchtlingscamp in Nepal aufgewachsen ist, dem Kloster vor. Es befindet sich hinter dem bekannten Stupa von Swayambunath am Fuss eines Hügels. (© Marietta Kind)
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